Letzte Woche geriet ich morgens mit Emmy in eine Streitsituation, die sich so ähnlich schon oft bei uns abgespielt hat. Emmy wollte etwas von mir wissen, das ich nur in meinem Handy nachsehen konnte. Ich gab ihr die gewünschte Info und anschließend legte ich das Handy wieder weg. Alleine dadurch ist das Telefon allerdings in ihren Fokus gerückt und sie wollte mir „nur kurz etwas“ darauf zeigen.
Nun verliert sie sich aber sehr schnell in meinem Handy, wie wir alle vermutlich.
„Ich scrolle nur mal kurz durch meinen Feed“ – zack, 30 Minuten weg.
Die Verlockung ist groß und auch Emmy schafft es logischer Weise nicht, sich „nur diese eine Sache“ anzusehen und das Handy wieder wegzulegen.
In so einer Situation entsteht bei uns oft Streit. Ich verbalisiere ihr gegenüber meine „Grenze“, zunächst freundlich, mehrfach. Das klingt etwa so: „Emmy, gib mir bitte das Handy zurück“. Ich erwarte natürlich, dass sie das befolgt, ist ja schließlich mein Handy. *g* Sie machte das an dem Morgen aber nicht, weil sie so gefesselt war von dem blöden Ding. Also spürte ich, dass ich langsam wütend wurde. Und deswegen lauter. Es stresste mich, dass sie mein Handy nicht wieder rausrückte. Es passierte trotzdem nichts. Ein bisschen insistierte ich noch. Bzw. ich zeterte, mein Ton wurde deutlich schärfer, ich fahriger. „Du hörst nicht auf mich“, „alles muss ich 1.000 Mal sagen“, „ich kann mich nicht auf dich verlassen“ – irgendwas in die Richtung sprudelte aus mir raus. Am Ende nahm ich Emmy das Handy barsch aus der Hand. Sie weinte natürlich und wir beide waren nicht happy damit, wie die ganze Situation gelaufen ist.
Die Verwechslung von Grenzen mit Befehlen
Nachdem ich sie in den Kindergarten gebracht hatte, setzte ich mich an den Tisch und dachte nach. Und da fiel mir auf: ich zog gar keine Grenze. Ich verwechselte Grenzen mit Befehlen und Anordnungen.
Würde ich selbst Verantwortung übernehmen, dann würde ich Emmy sagen, was ich jetzt tun werde, statt minutenlang neben ihr rumzujaulen und zu hoffen, dass sie nun endlich einsichtig wird. 😉 Ich würde ihr in dem Fall, mit Vorankündigung natürlich, das Handy aus der Hand nehmen. Oder es ihr gar nicht erst aushändigen, klar. Aber vor allem müsste Emmy rein gar nichts verändern. Verrückter Gedanke, oder!?
So, wie ich es an dem besagten Morgen handhabte, versäumte ich es letztendlich, ihr Orientierung und Sicherheit zu geben. Wenn ich tatsächlich eine Grenze ziehe und diese mit Gelassenheit und Souveränität durchsetze, können sich unsere Kinder genau das abschauen. Das heißt ja nicht, dass ich die beiden nicht um etwas bitten kann. Aber die Verantwortung für die Durchsetzung dieser Bitte liegt letztendlich bei mir.
In vielen Fällen haben wir übrigens ein System geschaffen, das es den Kindern quasi unmöglich macht, kooperativ und „regelkonform“ zu sein. Handys und Tablets liegen offensichtlich rum, aber die Kinder sollen der Versuchung widerstehen.
Mal Hand aufs Herz: wie gut könnt ihr an eurem Smartphone vorbei gehen, ohne drauf zu schauen?
Nur kurz Mails checken, ohne den Feed neu zu laden? Auf Pinterest das Rezept raussuchen, ohne gleich noch ein cooles Wohnzimmer zu pinnen?
Konkret bedeutet das für uns:
- Wir etablieren zu Hause ein System, das es den Kindern ermöglicht, erfolgreich zu sein. Im Wesentlichen heißt das, wir schaffen eine JA-Umgebung. Räumen Gegenstände weg, die nicht für ihre Hände gemacht sind und setzen die Kinder damit nicht unnötigen Verlockungen aus, denen sie gar nicht widerstehen können. Das könnte bspw. die Bereiche Süßigkeiten, Handys und gefährliche Gegenstände umfassen.
- Sind die Kinder dabei einen Gegenstand zu werfen, ihn kaputt zu machen oder andere damit zu verletzen, nehmen wir diesen aus der Hand.
- Bevor es andere verletzt, halten wir die Faust eines Kindes, das körperlich wird sanft fest.
- Den Fernseher schalten wir selbst aus und legen die Fernbedienung beiseite.
- Befindet sich das Kind in einer gefährlichen Situation, bspw. an einer Straße, halten wir es fest oder nehmen es hoch.
Das alles in Verbindung mit dem Kind. Ich darf (ja muss) als Elternteil Grenzen setzen und Kinder brauchen damit nicht einverstanden sein. Trauer, Wut, Verzweiflung, all das darf/ soll sogar bei den Kindern aufkommen. Neulich las ich sinngemäß diesen Spruch:
Wir geben also Raum für die großen Gefühle, bleiben aber präsent und verbindlich. Das Kind lernt Resilienz („ich kann das starke Gefühl überwinden“) und dass unsere Grenzen etwas sind, auf das es sich verlassen kann. Wir sind auf seiner Seite und begleiten es, selbst wenn es unsere Grenze doof findet. Letztendlich ist es wie alles andere auch eine Chance, für uns Eltern und für unser Kind.
Liebe Grüße, Julia
Ihr Lieben, vielen Dank für diesen Beitrag, der mir persönlich aus dem Herzen spricht. Und ihr habt es so verständlich und liebevoll formuliert. Super. Ich habe viele Jahre lang Kinder betreut und dabei genau das festgestellt. Gerade die jungen Eltern sind sehr unsicher und wollen alles richtig machen, wissen aber nicht, dass Grenzen so wichtig sind und wie man sie richtig setzen kann.
Ich freue mich immer über eure Berichte und Denkanstöße.
Alles Liebe und Gute
Herzlichst
Jutta Maier