Ich las in einem Artikel, dass jedes Gefühl biochemisch gesehen nur maximal 90 Sekunden dauert. 90 Sekunden! Komisch, das fühlt sich manchmal ganz anders an. 😀 Ich war neugierig und begann zu recherchieren. Die 90-Sekunden-Theorie kommt von der amerikanischen Neurowissenschaftlerin Jill Taylor. Taylor sagt:
„Hat eine Person eine Reaktion auf etwas aus ihrer Umgebung, so gibt es einen Prozess im Körper, der 90 Sekunden anhält. Findet nach den 90 Sekunden eine emotionale Reaktion statt, dann geschieht das nur aufgrund der (oft unbewussten) Entscheidung der Person, im emotionalen Loop zu bleiben.“
Tatsächlich kam bei Studien heraus, dass wir aktiv etwas tun müssen, um ein bspw. negatives Gefühl länger als 90 Sekunden zu empfinden. Wir müssen das Gefühl bewusst verstärken. Was bedeutet das konkret? Lasst uns das mal Schritt für Schritt ansehen.
Was passiert im Gehirn, wenn ein Reiz kommt?
Ein neuer Reiz wird im Gehirn durch einen komplexen Prozess verarbeitet. Vereinfach gesagt nehmen wir ihn durch Augen, Ohren, Nase, Haut oder den Geschmackssinn auf. Diese aufgenommene Information wird über Nervenbahnen an das Gehirn weitergeleitet. Unser Gehirn setzt den Reiz in einen Kontext, erachtet ihn als wichtig oder unwichtig. Um weitere Details zu finden, erfolgt eine genauere Untersuchung der Information durch verschiedene Hirnregionen. Im Großhirn haben wir bereits gespeicherte Inhalte, mit denen die neue Information abgeglichen werden kann. Evtl. wird dort eine neue Verknüpfung abgespeichert. Stoßen wir bei diesem Prozess nicht auf weitere interessante Informationen, klingt die Reaktion innerhalb von ca. 90 Sekunden ab.
Aber es gibt doch „Gedankenloops“, die mich Tage-, Wochen- oder Monatelang in meinen Emotionen festhalten !?
Sollten wir nach 90 Sekunden immer noch starke Emotionen wie Angst, Wut o.ä. fühlen, dann sind unsere Gedanken der Grund dafür. Wir stimulieren den Kreislauf der physiologischen Reaktion immer und immer wieder.
Denn unser Gehirn kann auch seine eigenen Reaktionen als neue Information beurteilen. Diese Beurteilung wird wiederum neu beurteilt, wodurch sich unsere Gedanken im Kreis drehen. Es ist also möglich, dass eine Information von unserem Hirn als außergewöhnlich interessant bewertet wird. Und bei deren Verarbeitung bleibt es hängen, die Information wird immer wieder neu abgerufen und bewertet.
Wenn mich nun eine starke Emotion überkommt – was mache ich dann am besten?
We can observe it instead of engage in it…
… sagt Taylor. Unser Alarmsystem schlägt offensichtlich an und wir fühlen uns nicht mehr sicher. In diese Emotion geben wir uns voll hinein und lassen die physiologische Reaktion geschehen. Die Energie kann fließen. 90 Sekunden stehen wir einfach durch, weil Emotionen nur heilen, wenn man sie zulässt und wertschätzt. Weder unterdrücken wir die Gefühle, noch verdrängen wir sie. Falsch wären Gedanken wie „(…) ach, die spitze Bemerkung meines Gegenübers lasse ich an mir abprallen.“, „(…) da stehe ich jetzt einfach drüber“ oder ähnliches.
Für 90 Sekunden konzentrieren wir uns jetzt voll darauf, wie wir die Emotion in unserem Körper spüren.
- Wird mir heiß, fange ich an zu schwitzen?
- Ist mein ganzer Körper angespannt?
- Schlägt mein Herz schnell?
- Sind meine Augen aufgerissen?
- Atme ich flach?
- Fühlt sich mein Brustkorb eng an?
- Kribbeln Arme oder Beine?
- Schnürt sich mir der Hals zu?
Produziert mein Gehirn kontraproduktive Spiralen oder gerät außer Kontrolle, warte ich 90 Sekunden ab, ob sich die emotionale und physiologische Reaktion auflöst. Sollte sie sich nicht auflösen, dann bitte ich mein Gehirn bewusst, nicht mehr an den Gedankenmustern festzuhalten. Denn ich weiß, das alles, was mich triggert, ein altes, abgespeichertes Muster in meinem Kopf ist. Jetzt, in diesem Moment, bin ich sicher. Es ist ein altes Programm, das wieder und wieder abgespielt wird.
You have choices in whether or not you want to keep running that programming or not.
Heißt das, ich soll gar nicht mehr reagieren?
Nein, das nicht! Aber es ist wichtig zu verstehen: sobald unser Alarmsystem anschlägt (das passiert eben, wenn wir getriggert werden), fühlen wir uns nicht mehr sicher. Unser Körper will uns vor lebensbedrohlichen Situationen schützen und er muss auch dazu in der Lage sein, in gefährlichen Momenten schnell und effektiv reagieren zu können. Aber mein Gegenüber/ die Situation ist (ziemlich sicher) keine echte Gefahr! Dennoch sind wir im Kampf-oder-Flucht-Modus. Für maximal 90 Sekunden. Reagieren wir innerhalb dieses Loops, ist die Reaktion vermutlich weder übersichtlich, noch hilfreich. Wir verlieren in Triggermomenten unsere Objektivität.
Wir können die Reize von außen nicht kontrollieren. Aber wir haben Einfluss auf den Zwischenraum bis zu unserer Reaktion.
Was wir sonst noch tun können:
Ein besseres Stressmanagement in unserem Leben kultivieren. Hier einige Strategien:
- Yoga
- Meditation
- Achtsamkeitsübungen
- Atemübungen
Ich hoffe, dieser Artikel war für euch ebenso erleuchtend, wie für mich. <3