In letzter Zeit merkten wir öfter mal: unser kleiner Mann ist im Moment nicht in jeder Situation ganz so robust. „Wehleidig“ könnte man es nennen oder „weinerlich“, so versteht es vermutlich jeder, allerdings vermutlich auch falsch. Denn es ist nicht abwertend gemeint oder genervt. Uns fällt nur einfach auf, dass er gerade recht zart besaitet ist und gewisse Dinge nicht ganz so easy wegsteckt. 

Wenn er bspw. hinfällt und eine andere Person dabei ist hat er Tränen in den Augen und hält die ganz tapfer zurück, bis er bei uns ist. Und dann fließen sie und er wirkt wie erlöst, dass wir jetzt da sind und er seine Trauer frei rauslassen kann. Manches mal ist er sehr schwer zu beruhigen und schluchzt ganz bitterlich, auch wenn es für uns lediglich aussieht wie ein kleiner Kratzer. In anderen Momenten, in denen er bspw. ziemlich ordentlich gegen den Türrahmen rumst, geht das mit dem Beruhigen wiederum ganz flott.

Wenn wir andere Kinder beobachten fällt uns auf, dass die nicht ganz so sensibel reagieren und oft robuster wirken. Klar, das sind auch immer nur Momentaufnahmen.

– Empfindsam erzogen oder in Watte gepackt ? –

Eigentlich haben wir damit gar kein Problem, aber wir kamen ins Grübeln, nachdem nun vor allem von zwei Leuten im Alter unserer Eltern auch schon Sprüche kamen wie „ach komm schon, das war doch überhaupt nicht schlimm“, „jetzt stell dich doch nicht so an“, „Männer weinen nicht“, „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „heul doch nicht gleich so, du Heulboje“.

Alles Sätze, die noch nie aus unserem Mund kamen, auch nicht in abgemilderter Form, denn wir nehmen Niki in solchen Situationen immer ernst und trösten ihn. Wir sagen nicht „alles ist gut“, weil für ihn offensichtlich gerade nicht „alles gut“ ist. Auch nicht „nichts passiert“, wenn offensichtlich etwas passiert ist – und sei es nur ein für uns kleiner Sturz. Aber natürlich wollen wir nicht, dass er als Heulboje wahrgenommen wird. Wir wollen auch nicht, dass ihn die anderen Kinder als weinerlich oder hochsensibel empfinden, denn plump ausgedrückt ist das anstrengend. Die Heulsuse will keiner mitnehmen (ist bislang allerdings noch nicht passiert).

Haben wir ihn mit unserem stets mitfühlenden Trost spenden evtl. „verweichlicht“?

Diese Frage kam unweigerlich auf. Wir stürzen uns nicht panisch auf ihn, sobald er sich irgendwo nur ein kleines bisschen weh getan hat, sondern warten i.d.R. erstmal einen kurzen Moment ab, wie er reagiert. Trösten ihn dann, wenn er es braucht (und das ist eigentlich so gut wie jedes Mal) und zu uns kommt aber selbstverständlich immer, verbalisieren seine Gefühle und spielen sie nicht runter. Nehmen ihn auf den Arm, pusten auf die betroffene Stelle, streicheln ihn oder sind einfach da.

– Was Trösten signalisiert –

Empathie und Mitgefühl sind für unser Empfinden Schlüsselfaktoren im menschlichen Zusammenleben. Wird Niki getröstet wollen wir ihm damit signalisieren, dass wir da sind für ihn, seine Gefühle ernst nehmen und ihm helfen, seine Trauer zu bewältigen. Er in emotionaler Sicherheit aufwächst. Ein Ergebnis davon wird hoffentlich sein, dass auch er die Bedürfnisse seiner Mitmenschen registriert. Tatsächlich empfinden wir ihn bereits heute als sehr emphatisch und hilfsbereit, besonders wenn er mitbekommt, dass sich bspw. jemand weh getan hat.

– Wenn Eltern die Trauer als unangemessen empfinden –

Beim Recherchieren lasen wir, dass es wohl so ist, dass wir als Erwachsene i.d.R. eine Vorstellung davon haben, wie viel Leiden in welcher Situation angemessen ist. Hat man sein Kind bei einer scheinbaren Kleinigkeit dann ein paar Minuten getröstet, behutsam auf es eingeredet und das Weinen ist immer noch nicht vorbei, werden wir evtl. auch mal ungehalten und genervt. Damit klassifizieren wir den Schmerz unserer Kinder und zwingen ihnen unsere Beurteilung auf (Quelle: „das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“). Dabei sind Gefühle immer noch vollkommen individuell und sie als richtig oder falsch zu bezeichnen ist eigentlich schlichtweg anmaßend.

Intuitiv haben wir Nikolas immer auch über diesen o.g. Punkt hinaus getröstet, ihn höchstens mal gefragt „war das so schlimm für dich?“. Aber als ehrliche Frage formuliert, nicht spöttisch (das heißt fairer Weise nicht, dass wir innerlich nicht manchmal dachten „hmm, jetzt ist doch eigentlich auch mal wieder gut, oder?“ – blödes Relikt).

– Wehleidigkeit als Botschaft ? Hochsensibel ?-

Immer wieder bekommt man den Ratschlag, auf ein „weinerliches“ Verhalten gar nicht erst einzugehen, damit der Kleine „härter im Nehmen“ wird. Offensichtlich eine nach wie vor sehr verbreitete Ansicht bei zu vielen Leuten, die Weinen als echte Schwäche sehen. Wir tun das nicht, fragen uns aber dennoch, warum er hier und da für unser Empfinden etwas übertrieben reagiert.

Möchte er durch seine Reaktion nur Aufmerksamkeit haben?

Mit Gewissheit bejahen oder verneinen können wir das nicht. Eigentlich gehen wir sehr behut- und achtsam mit ihm um. Aber vielleicht hat er dennoch in Bereichen, die uns gar nicht bewusst sind das Gefühl, zu kurz zu kommen. Und mal angenommen er fordert Trost als Form der Aufmerksamkeit ein – na und? Sein Bedürfnis danach wird nicht nachlassen, nur weil wir es übergehen. Ganz im Gegenteil, würden wir es abwerten, dann wird eher lernen, seine Gefühle zu verleugnen (sie sind ja schließlich nicht erwünscht), sie aber in zwischenmenschlichen Beziehungen (sprich: bei Anderen) genauso wenig anerkennen. Ein Bedürfnis kann ja nur weniger werden, wenn es erfüllt wird. Alles andere wäre lediglich abtrainiert.

„Wehleidigkeit“, wenn das denn der richtige Ausdruck ist, ist immer auch eine Botschaft an Eltern, die individuell entschlüsselt werden muss. Evtl. geht es gar nicht um die jeweilige Verletzung, sondern vielmehr den emotionalen Schmerz. Manche Kinder, besonders (hoch)sensible empfinden körperlichen oder emotionalen Schmerz intensiver als andere. Und gerade die brauchen angemessen Trost und Verständnis und keine Bewertung.

Auch, wenn wir hier und da mit verunsichernden Ratschlägen und Bemerkungen konfrontiert werden, für uns steht nach der Recherche zu diesem Artikel fest: wir gehen unseren Weg weiter wie bisher. Wenn Niki in manchen Situationen sensibler reagiert, als einige andere Kinder, dann sehen wir es als unsere Aufgabe an, einfach noch besser hinzusehen und uns zu fragen, was ihm fehlt und wie wir ihm am besten helfen können.

 Wie steht ihr zum Thema Trösten?

Liebe Grüße

Julia


Photo © : Jens Koch, Berlin

Diese tollen Fotos sind im Rahmen eines spontanen Shootings auf Santorin entstanden. Geschossen hat sie der fantastische Jens Koch

Auf seiner Homepage und seiner Instagram-Seite könnt ihr einen Auszug aus seiner Arbeit sehen.